Das Bild von Sigmar Polke aus dem Jahr 1969 "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen", eines der berühmtesten Werke des Malers begleitet mich seit meinem Studium. Der Befehl "rechte obere Ecke schwarz malen!“ wird vom Künstler († 2010) als ironische Kritik an der Kunstwelt und deren Idealen interpretiert. Polke hinterfragt die Autonomie der Kunst, indem er den Schaffensprozess scheinbar einer externen Instanz unterwirft, was humorvoll auf die Tradition der Auftragskunst verweist. Gleichzeitig parodiert er den Minimalismus und die Ernsthaftigkeit abstrakter Malerei, indem er eine banale Handlung als „höheren Befehl“ inszeniert.
Kürzlich, nach einem Einweihungsprozess habe ich dieses Bild von Polke für mich neu "überschrieben". Jetzt ist es weiss, in meiner Version.
Das schwarze Dreieck das dieses Bild von Polke in seiner Version "perfekt" aussehen lässt, denn es war ja ein Befehl "von oben" der den Anreiz gab, und so gehört dieses schwarze Feld zum Bild, als integraler Bestandteil seiner Ausführung.
In meinem Überschreiben geht es nicht um Abstraktion oder Minimalismus, denn weisse Bilder gibt es in der Kunstgeschichte zu genüge. Zudem ist dieses Bild ja nicht nur weiss, sondern es übernimmt die Textpassage und den Befehl "die obere rechte Ecke weiss zu malen". Das ursprüngliche Bild von Polke habe ich mit einer KI-App (Adobe Firefly) und mit der Option ein Bild aus Ausgangspunkt zu nehmen mit einem anschliessenden einzigen Prompt überschrieben.
Damit habe ich eine neue Bildwirklichkeit geschaffen. - Was hat sich verändert?
Gibt es eine Versöhnung mit dem Schwarz? Hat sich das Schwarz aufgelöst? Ist es verblasst? Hat es seine Bedeutung für mich etwa verloren? Für mich hat diese schwarze Ecke IN Polkes Bild immer etwas Dunkles, Schweres in sich getragen auch wenn es im Verhältnis zum Weiss im gesamten Bildaufbau nicht überwiegte. Nein, es hat sich etwas verändert. Das "innere Bild", das mich in einer Resonanz mit Polkes Bild verband und mich über Jahrzehnte begleitete hat sich gewandelt, wurde transzendiert. Nicht weil ich es so wollte, sondern weil es der Zeitpunkt war, etwas Loszulassen in mir. Warum gefiel mir überhaupt Polkes Bild? War es der geniale Schachzug seiner Ironie, ein Bild über eine höhere Ebene zu definieren? Oder trug diese schwarze Ecke etwas für mich, das ich in diesem Bild sah und mich damit identifizierte?
Es ist nicht so, dass dieses ursprüngliche Bild von Polke nicht mehr gefällt! Das Bild bleibt eine Ikone der Kunstgeschichte. Unwiderruflich.
Es ist vielmehr so, dass mir meine Version des Bildes mehr entspricht und ich in diesem neu gewonnenen Weiss mich ausdehnen kann, mich entfalten kann. Die Grenzen wurden verschoben oder vielleicht sogar aufgehoben. Das Schwarz hat in diesem "meinem" Bild keine Präsenz mehr. Es hat sich nach so vielen Jahren aufgelöst.
Und ich bin dankbar dafür!
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